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AutorenbildSascha Lübow-Westendorf

Inflation: Warum der Verbraucherpreisindex kein guter Messwert für die Geldwertstabilität ist







Inflation ist ein ständiger Begleiter in den Diskussionen um Wirtschaftspolitik und Geldwertstabilität. Sie wird oft als der absolute Indikator für den Geldwert betrachtet. Doch die Aussagekraft der Inflationsrate ist tatsächlich eher begrenzt, da sie sich primär auf einen durchschnittlichen Warenkorb von Endverbraucherprodukten bezieht. Eine wesentliche Einschränkung dabei ist, dass die Inflationsberechnung nicht alle Güterkategorien umfasst. Insbesondere werden Finanzvermögen, Immobilien, langlebige Gebrauchsgüter und Dienstleistungen von Regierungsbehörden oft nicht oder nur teilweise berücksichtigt. Die exakte Erfassung dieser Werte variiert je nach der angewandten Methode und dem jeweiligen Land, was die Vergleichbarkeit von Inflationsraten zwischen Ländern oder über längere Zeiträume erschwert. Man vergleicht also tatsächlich Äpfel mit Birnen, oder vielmehr Zeitungen mit Fernsehern vergleicht, je nachdem was im Warenkorb der Statistiker liegt.

Der durchschnittliche Warenkorb verändert sich nicht nur mit der Zeit, sondern auch mit dem Geldwert. Eigentlich logisch, so ist doch bei einer kleineren vorhandenen Geldmenge ein gewisser Sparzwang beim Verbraucher zu merken. Dieser schlägt sich im Kauf günstigerer Produkte nieder. Wird der Warenkorb nun in seiner Gewichtung angepasst, so verfälscht das die Inflationswerte da die ursprüngliche im Warenkorb befindlichen Produkte Preissteigerungen erfuhren die durch das Ausweichverhalten ausgeglichen wurden. Diese sind somit nicht mehr in der Inflationsrate reflektiert.

Wird der Warenkorb nicht angepasst, wird zwar die Geldentwertung korrekt dargestellt, aber der Warenkorb spiegelt nicht mehr die realen Verbraucherausgaben wider. Um zu vergleichen, müsste man also eigentlich den Warenkorb eines bestimmten Referenzjahres mit den gleichen Produkten in einem anderen Jahr vergleichen. Auch geänderte Produkteigenschaften werden sonst unzureichend berücksichtigt. Dass dies teilweise gar nicht möglich ist, erklärt sich von selbst, schon allein weil es nicht jedes Produkt in jedem Jahr gibt (was hat zum Beispiel ein Flachbildfernseher mit Android und WiFi im Jahr 1985 gekostet?) Schnell wird also klar, dass der Verbraucherpreisindex nicht mehr als eine Krücke ist. Grundsätzlich ist in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung auch nichts gegen Schätzungen und Hochrechnungen einzuwenden, es handelt sich um keine exakte Wissenschaft und bietet für die Aussage, die es treffen soll, eine ausreichende Genauigkeit. Problematisch wird es erst, wenn ein anderes Phänomen damit zusammenkommt: "When a measure becomes a target", wenn das KPI das Ziel ersetzt! In der klassischen Wirtschaftspsychologie ein bekanntes Problem: Sobald eine Kennzahl klar kommuniziert wird und Boni und Incentives damit verknüpft werden, werden Wege gefunden, um diese Kennzahl zu verändern, anstatt den Sachverhalt, der damit gemessen werden soll. So geschehen mit der Inflation, die ja eigentlich ein Messwert für Geldwertstabilität sein soll. Experten war es schon lange klar, mittlerweile wird auch die breite Öffentlichkeit skeptisch, ob das optimal funktioniert.

Da nämlich die Inflation als einziger Messwert für Geldwertstabilität herangezogen wurde und nicht etwa zusätzlich Wechselkurse, Goldpreise, Geldmengenzähler usw., war es für die EZB lange Zeit schwer, diese zu beeinflussen, da der Zins nur sehr mittelbaren Einfluss auf die Verbraucherpreise hat. Die wenigsten Konsumausgaben werden über Kredite finanziert.

Werden also die Zinsen gesenkt, um die Inflation anzuheben, landet das Geld erstmal vornehmlich bei Unternehmen und Investoren, aber auch bei Hauskäufern, eben überall, wo hohe Krediteinsätze üblich sind. Verbrauchsausgaben sind in der Regel nur zu einem sehr geringen Teil kreditfinanziert, sodass die Anhebung des Zinssatzes hier nur sehr verzögerte Auswirkungen hat, nämlich wenn durch die höheren Einnahmen aus Investitionen oder die gesunkenen Kreditzinsen anderer Investitionen mehr Geld für Konsumausgaben zur Verfügung steht.

Noch weiter muss jedoch bedacht werden, dass hier zusätzlich ein Marktgleichgewicht besteht, bei dem Angebotselastizität und Nachfrageelastizität selten übereinstimmen. Mit anderen Worten: Ein Euro mehr in der Kasse des Verbrauchers führt nicht zwangsläufig zu einem Euro mehr Angebot an Produkten! Ist die Angebotselastizität sehr gering, weil (wie zum Beispiel auf dem Ölmarkt) die Kapazitäten festgelegt sind, reagiert der Preis sehr viel stärker, da der Verbraucher der einzige ist, der seine Nachfrage einschränken kann. Der Anbieter kann sein Angebot aber nicht ohne weiteres ausweiten. Bei vielen Konsumgütern ist aber das Gegenteil der Fall: mit relativ geringem Aufwand kann der Anbieter zusätzliche Produkte auf den Markt bringen, die Produktion eines neuen Fernsehers in China zum Beispiel. Der Verbraucher reagiert aber mit seiner Nachfrage oft recht verhalten: Doppelt so viel Haushaltseinkommen wird kaum dazu führen, dass man sich doppelt so viel Brot, Eier, Fernseher, Jacken etc. kauft. Die Elastizität in der Nachfrage ist geringer, sodass die Preise langsamer steigen und das Geld eher die Sparquote erhöht und die Investitionsgüter verteuert.

So kommt also das zusätzliche Geld zunächst in den Anleihemärkten, im Immobilienmarkt, Aktienmarkt und bei anderen Assetklassen an. Die Verbraucherpreise reagieren verzögert und weniger Stark, weil sich der Geldwert zwar mindert, die Preise für Verbrauchsgüter aber trotzdem kaum steigen. Diese sind primär niedrig gehalten durch Globalisierung und hohe Produktivität und das sich schnell ausweitende Angebot an Gütern. Das zusätzlich vorhandene Geld bei Staaten und Unternehmen kommt auch deshalb nicht bei den Verbraucherpreisen an, weil es in anderen Anlageklassen "stecken bleibt".

Dass das aber nicht weniger den Geldwert destabilisiert, wird nun schmerzlich bewusst. Zusätzlich haben staatliche Sonderzahlungen die Inflation weiter angeheizt, nicht zuletzt eine Inflationsprämie, die wohl irrsinnigste Idee, die nur vom fehlenden Sachverstand zeugen kann. Staatliches Geld an die Verbraucher zu zahlen, verursacht selbstverständlich weitere Inflation, keine Dämpfung des Verbraucherpreisanstiegs.

Doch was nun? Die Inflation scheint weiter zu laufen, nicht zu galoppieren. Ich werde mich nicht hinreißen lassen, eine Prognose abzugeben, auch wenn ich natürlich eine Vermutung zur weiteren Entwicklung habe, sind doch zu viele psychologische, geopolitische und realwirtschaftliche Ungewissheiten als Einflussfaktoren zu wichtig. Was dennoch zu hoffen bleibt, ist, dass das Mandat der EZB weniger einseitig ausgeführt wird. Auf der anderen Seite ist es doch essenziell, dass der Geldwert das einzige Mandat bleibt. Realwirtschaftliche Probleme mit Geldpolitik zu lösen, kann zu weiteren Verwerfungen führen und ist am Ende nur Symptombekämpfung. Die realen Ursachen in der Inflation sind nicht in der vorhandenen Kreditgeldmenge, sondern im verknappten Angebot an Gütern. Durch fehlende Gaslieferungen, schleppenden Ausbau sind die Energiepreise gestiegen, durch multiple Schwierigkeiten im globalen Handel sind Lieferketten zerbrochen und ausländische Güter teurer geworden, durch die inländische Rezession und geringe Produktivität ebenso die im Inland erstellten Güter und Dienstleistungen, die Lohnsteigerungen heizen das Ganze weiter an. Auf der anderen Seite sehen wir, wie Geld aus den Investitionsmärkten abfließt, Immobilienpreise fallen, weniger investiert wird, aber auch hier bleibt die Investitionsrentabilität selbst auf dem Prüfstand zu stellen. Überbordende Bürokratie macht große Investitionsprojekte komplex, hohe Steuerquoten diese ebenso unattraktiv wie steigende Zinsen.

Die Preissteigerungen der vergangenen Monate sind also kein reines Phänomen der Geldpolitik, sondern spiegeln durchaus realwirtschaftliche Angebotsverknappungen wider. Die EZB ist also gut beraten, zügig aber moderat auf Preisänderungen zu reagieren und andere Faktoren als den Verbraucherpreis mit einzubeziehen. Die grundlose und zu schnelle Geldmengenausweitung der vergangenen Jahre ist nicht mehr zurückzunehmen, eine Konsolidierung war überfällig und die Zinsanpassungen sind moderat: der Leitzins ist die meiste Zeit unter der Inflationsrate verblieben. Es bleibt zu hoffen, dass nicht der erste leichte Rückgang der Verbraucherpreise die Banker wieder dazu bewegt, die Märkte mit Geld zu fluten, um die realwirtschaftlich verursachten Schwächen zu kontern. Diese müssen von Staaten und Unternehmen angegangen werden.

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